• marv99@feddit.de
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    1 year ago

    Da mich diese Aussage interessierte, habe ich mich auf die Suche nach den wissenschaftlichen Studien gemacht.

    Gefunden habe ich diesen Artikel des Tagesspiegel, in dem dankenswerterweise diverse Studien zum Thema verlinkt und beschrieben sind: https://www.tagesspiegel.de/wissen/fahren-radfahrer-mit-helm-riskanter-5029636.html

    In einer der genannten Studien wird geschlossen, dass Radfahrer mit Helm risikobereiter wären. Wohingegen statistischen Analyse von 23 Studien diese Aussage für den Verkehr nicht stützen.

    In seiner Studie von 2007 findet der Psychologe Ian Walker im Selbstversuch, dass beim Überholen seines Rades weniger Abstand gehalten wird, wenn er Helm trägt: Drivers overtaking bicyclists: Objective data on the effects of riding position, helmet use, vehicle type and apparent gender

    Zu dieser Studie gibt es abweichende Meinungen zur Auswertung: Bicycle helmet wearing is not associated with close motor vehicle passing: a re-analysis of Walker, 2007 | Bicycle helmet wearing is associated with closer overtaking by drivers: A response to Olivier and Walter, 2013

    Das Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels ist ein deutlich größer angesetzter Versuch in Berlin und kann die Studie von Walker 2007 wohl nicht bestätigen:

    Das Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels kommt zu dem entgegengesetzten Ergebnis. In dem Projekt fuhren 100 Freiwillige zwei Monate mit einem Sensor durch Berlin, der aufzeichnete, wie eng Autos sie überholten. 13.300 Kilometer legten die Teilnehmer zurück, 16.700 Mal wurden sie dabei überholt. 56 Prozent dieser gemessenen Überholvorgänge waren zu dicht, also unter 1,50 Meter. Ob sie dabei einen Helm trugen oder nicht, machte keinen statistisch aussagekräftigen Unterschied. Personen mit Helm bekamen in den Messungen eher etwas mehr Abstand. Auch Warnweste oder ein Fahrradairbag änderten nichts an den Überholabständen.

    Was ich überhaupt nicht finden konnte waren Studien, die sich gegen das Helmtragen aussprechen oder so deutliche Nachteile finden, dass sie als Gegenargument gegen den Sicherheitsgewinn eines Helmes verwenden werden könnten.

    • catboss@feddit.de
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      1 year ago

      Schon kritisch, dass du einer bloßen unfundierten Meinung mit gut recherchierten Argumenten und Quellenangaben kommst.

      Wenn das jeder macht wie du, dann kann ich bald gar keinen Scheiß mehr schreiben im Internet.

    • Anekdoteles@feddit.de
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      1 year ago

      Was ich überhaupt nicht finden konnte waren Studien, die sich gegen das Helmtragen aussprechen oder so deutliche Nachteile finden, dass sie als Gegenargument gegen den Sicherheitsgewinn eines Helmes verwenden werden könnten.

      Der Nacktmull hat Recht und ich konnte sogar Studien finden, die genau das besagen.

      • UK drivers passed a bicyclist closer on average when the bicyclist wore a helmet. [1]
      • despite increases to at least 75% helmet wearing, the proportion of head injuries in cyclists admitted or treated at hospital declined by an average of only 13%. [2] und zwar während Radfahrer nicht riskanter gefahren sind [3]
      • The benefits of cycling, even without a helmet, have been estimated to outweigh the hazards by a factor of 20 to 1 (Hillman 1993; Cycle helmets—the case for and against. Policy Studies Institute, London). (…) Consequently, a helmet law, whose most notable effect was to reduce cycling, may have generated a net loss of health benefits to the nation. [2]
      • We found that the dehumanization measures were internally consistent, showed good discriminant validity (compared to general attitudes to cyclists) and were associated with self-reported aggression toward cyclists. [4]
      • auch qualitative Studien kommen zu dem Schluss, dass Helmnutzung mit einer erhöhten Gefährlichkeit einhergeht und zwar dahingehend, dass sie zu Opportunitätskosten durch nicht-implementierte echte Sicherheits-Policies führt: I first provide evidence that the helmet does in fact take a central place in the US urban bike safety discourse, and I characterize four rhetorical strategies used to encourage helmet use. I then argue that this helmet fixation is ultimately tied to the (re)production of unfettered automobility, and that it arguably hampers efforts to actually improve bicycle safety [5]

      [1]https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0001457518309928 [2]https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/0001457596000164 [3]https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1369847818305941 [4]https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1369847818308593 [5]https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23800127.2018.1432088

      • marv99@feddit.de
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        1 year ago

        Herzlichen Dank Anekdoteles für Deine Links zu den Studien aus u.a. England, USA und Australien. Es scheint leider keine gut auffindbaren Studien für Deutschland zu diesem Thema zu geben, was ich schade finde.

        Ich möchte erst noch einmal die Aussage vom Nacktmull zitieren:

        Autofahrys verhalten sich im Durchschnitt rücksichtsloser gegenüber Radfahrys die einen Helm tragen, dies ist durch wissenschaftliche Studien belegt und eines der wichtigsten Gegenargumente [gegen die Helmpflicht].

        Mich störte daran, dass es sich so liest, als ob das individuelle Tragen eines Helmes beim Radfahren ein erhöhtes Risiko durch rücksichtslosere Autofahrer darstellt. Daher wollte ich selbst diese wissenschaftlichen Studien lesen.

        Im folgenden würde ich gerne auf Deine Nummerierung [1] bis [5] der Quellen/Studien bezug nehmen.

        Erhöhte Risikobereitschaft durch Helmtragen?

        Wie Du ebenfalls schreibst, widerlegt die von mir bereits zitierte Metastudie [3] die These, Helmtragen beim Fahrradfahren erhöhe die Risikobereitschaft des Radlers. Hier sind wir uns offenbar einig, dass es keine veränderte Risikobereitschaft gibt, die zu einer erhöhten Gefahr durch Tragen eines Helmes führen könnte.

        Geringerer Überholabstand durch Helmtragen?

        Die Daten von Ian Walker, 2007

        Interessant zur Stützung von Nacktmulls Aussage ist die Studie [1], die ich ja ebenfalls verlinkte, zusammen mit zugehöriger Originalstudie, Ian Walker 2007 und Disput um deren statistische Auswertungsmethoden.

        Alle drei Studien verwenden die selben Daten, die Ian Walker 2007 veröffentlichte. Außer des “Radmesser”-Experiments (siehe weiter unten), konnte ich keine weiteren Daten zum Thema finden.

        Ian Walkers Daten umfassen 2.300 Überholvorgänge auf einer unbekannten Wegstrecke britischen “suburban/urban road types”, wobei der überholte Radler stets Ian Walker selbst war. Es gab weitere Versuche, in denen Ian Walker eine Perücke trug, um als Frau wahrgenommen zu werden. Hierzu habe ich keine quantitiven Angaben finden können.

        Resultate aus dem Briefing:

        When overtaking the test bicycle, drivers passed closer when the experimenter

        • rode towards the centre of the lane rather than the edge
        • wore a helmet
        • appeared male rather than female

        Ein Resultat der Studie ist, dass Autofahrer näher am Fahrrad übeholen, wenn Ian Walker einen Helm trägt.

        Meine Probleme mit den Daten von Ian Walker, 2007 für unsere Diskussion

        Ich frage mich, ob eine Verkehrsstudie aus England (andere Mentalität, andere Fahrgewohnheiten, andere Gesetze, Linksverkehr, anderes Wetter) gut mit unserer Situation in Deutschland vergleichbar ist.

        Hauptsächlich stört mich aber, dass an dieser Studie nur ein einziger Radfahrer und Fahrradtyp beteiligt war und dennoch aus den Daten generelle Rückschlüsse für alle Menschen (klein, groß, sicher, unsicher) und Fahrräder behauptet werden.

        Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels, 2018

        Ich war ganz froh, zumindest noch ein weiteres Experiment zur Thematik zu finden, nämlich das von mir bereits genannte Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels.

        Folgende Vorteile sehe ich gegenüber Ian Walker, 2007 für eine Diskussion im deutschen Verkehr:

        • der Versuch fand in in Berlin, also Deutschland statt
        • die 100 Teilnehmer wurden aus 2.500 Bewerbern so ausgewählt, dass sie möglichst verschieden waren (item 6)
        • es wurden innerhalb von 2 Monaten 13.300 km zurückgelegt und 16.700 Überholvorgänge vermessen

        In diesem Experiment gab es also eine verhundertfachung des Fahrrad- und Fahrertyps, sowie eine Vervielfachung der Überholvorgänge (den genauen Faktor kann ich nicht nennen, da ich die keine Zahlen bei den “erweiterten Versuchen” mit Perücke fand). Einen Ausschnitt aus den Ergebnissen hatte ich zuvor zitiert.

        Da es in der Diskussion um erhöhte Rücksichtslosigkeit gegenüber behelmten Fahrradfahrern geht, zitiere ich die für mich entscheidende Passage, die Ian Walker, 2007 hierbei widerspricht:

        56 Prozent dieser gemessenen Überholvorgänge waren zu dicht, also unter 1,50 Meter. Ob sie dabei einen Helm trugen oder nicht, machte keinen statistisch aussagekräftigen Unterschied. Personen mit Helm bekamen in den Messungen eher etwas mehr Abstand.

        Die drei anderen Studien

        [2] befasst sich nicht damit, dass Autofahrer rücksichtsloser gegenüber helmtragenden Radfahrern sind!
        Es geht untere anderem um die Auswirkungen der australischen Helmpflicht auf Kopfverletzungen und Anzahl der Radfahrer. Es wird auch auf eventuelle Vorteile einer Helmpflicht für Motorradfahrer verwiesen, die es in Australien anscheinend nicht gibt (gab).

        [4] nimmt keinerlei Bezug auf das Tragen von Helmen!
        Es geht vielmehr um eine angebliche Entmenschlichung von Radfahrern, die belegt werden soll.

        [5] befasst sich nicht damit, dass Autofahrer rücksichtsloser gegenüber helmtragenden Radfahrern sind!
        Es wird (für die USA) kritisiert, dass eine Fixierung auf Tragen von Helmen, andere Sicherheitsmaßnahmen für Radfahrer behindere.

        Meine Schluss

        Ich sehe, außer bei Ian Walker, 2007, keinen wissenschaftlichen Beleg für die Aussage “Autofahrys verhalten sich im Durchschnitt rücksichtsloser gegenüber Radfahrys die einen Helm tragen”.

        • Anekdoteles@feddit.de
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          1 year ago

          Besten Dank für die detailierte Ausarbeitung. Ich werde das für mich einordnen und meine Haltung überprüfen. Ich habe zwei Anmerkungen:

          • statistische Insignifikanz bedeutet nur, dass für diese Studie der Nicht-Zusammenhang nicht widerlegt werden kann und lässt offen, ob es nicht auch in dieser Studie einen Zusammenhang gibt
          • du unterschätzt die Bedeutung der Dehumanisation, denn es ist unplausibel, dass das Phänomen keine oder nur geringe Effekte darauf hätte, wie die Subjekte, in deren Wahrnehmung sie sich abspielt, auf den Trigger reagieren. Im Gegenteil muss man davon ausgehen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand einen anderen als Menschen oder als Hindernis wahrnimmt. Die Diskussion kann sich also nicht auf das ob, sondern nur auf das wie beziehen. Vielleicht gibt es für Überholvorgänge keinen Zusammenhang. Das heißt aber nicht, dass es keinen dafür gibt, mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Opfer von Gewalt zu werden
          • marv99@feddit.de
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            1 year ago

            Bezüglich der genannten Dehumanisation kann ich mir mangels tieferen Einblicks in die Materie keine fundierte Meinung bilden (aka ich habe keine Ahnung davon), denke aber dass die von Dir beschriebenen Zusammenhänge durchaus möglich sind, wenn auch sehr bedrückend.

            Da aber die genannte, zugehörige Studie keinen Bezug zum Tragen/Nichtragen eines Helmes hatte, las ich zwar deren Zusammenfassung, fand sie aber im Bezug auf den konkreten Punkt (“Helmtragen erhöht das Risiko”) als einfach nicht aussagekräftig.

      • marv99@feddit.de
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        1 year ago

        Nicht falsch verstehen, ich bin nicht für eine Helmpflicht beim Radeln.

        Sehr wohl befürworte ich aber das selbstverantwortliche Tragen eines Helmes beim Fahrradfahren (nicht nur im Straßenverkehr), da dieser bei einem Sturz einen Kopf besser schützen wird als Luft.

        Was ich nicht befürworten kann, ist die offenbar nicht eindeutig belegte Behauptung, dass Fahrradfahren mit Helm gefährlicher sei, als ohne. Im Gegenteil finde ich eine solche Aussage ähnlich schädlich wie die damaligen Scheinargumente gegen die Gurtpflicht. (kurzer Rückblick im ersten Abschnitt „Fessel“: Die Argumente gegen die Gurtpflicht aus den 70ern klingen sehr vertraut)

        EDIT: das die jetzt angestossene Diskussion um eine Pflicht nur eine Scheindebatte ist, da gebe ich Dir natürlich recht.

        • Anekdoteles@feddit.de
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          1 year ago

          Sehr wohl befürworte ich aber das selbstverantwortliche Tragen eines Helmes beim Fahrradfahren (nicht nur im Straßenverkehr), da dieser bei einem Sturz einen Kopf besser schützen wird als Luft.

          Ja und schusssichere Weste macht den Besuch in einer amerikanischen Schule auch viel sicherer.

          Was ich nicht befürworten kann, ist die offenbar nicht eindeutig belegte Behauptung, dass Fahrradfahren mit Helm gefährlicher sei, als ohne

          Belegt, siehe oben.

          • Raikin@feddit.de
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            1 year ago

            Ja und schusssichere Weste macht den Besuch in einer amerikanischen Schule auch viel sicherer.

            Ich meine, ja, schon, aber es wäre natürlich trotzdem Stuss das gesetzlich zu verlangen.

            Deine Studien belegen ja selbst dass ein Helm zu tragen erstmal zur eigenen Sicherheit beiträgt, wenn auch nicht so sehr wie man es vielleicht erwarten würde.

            Auf einer politischen Ebene hast du natürlich Recht, ein Verbot würde mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen, das belegen deine Studien. Aber auf was du hier antwortest bestreitet das ja gar nicht.

          • Anekdoteles@feddit.de
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            1 year ago

            Am Ende brauchen wir aber vor allem endlich mal eine für Radfahrende sichere Infrastruktur

            Die Helmpflicht soll aber ja genau das verhindern. Es geht bei der Helmpflicht nicht um den Schutz von Radlern, sondern darum, die Gefährlichkeit von Autos zu reduzieren, ohne Autos in irgendeiner Weise dafür zahlen zu lassen - z.B. mit Platz, Geschwindigkeit oder Komfort. Helmpflicht ist der Kitt, mit dem die kognitive Dissonanz überbrückt wird. “Ich sehe keine Problem bei mir”.

      • akarossa@feddit.de
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        1 year ago

        Übrigens würden auch Autofahrer durch das tragen eines Helms im Auto bei Unfällen deutlich besser vor Kopfverletzungen geschützt sein

        darf ich fragen wie du darauf kommst? soweit ich weiß würden helme in kombi mit kopfstütze mehr probleme verursachen als was sie bringen. rennfahrer tragen natürlich welche, aber die sitze sind auch anders als normale autositze. außerdem welchen helm? ein normaler fahrradhelm wär vlt noch machbar, aber sobald der helm dein sichtfeld und gehör einschränkt kann er kaum noch vorteile bringen. autofahrer machen jetzt schon selten schulterblicke, dann erst recht nichtmehr… ist vlt böse aber ich glaube andere verkehrsteilnehmer profitieren enorm davon wenn autofahrer sich nicht absolut sicher fühlen, will garnich wissen wie manche fahren würden wenn sie quasi unverwundbar wären. ist jetzt schon schlimm genug.